Energiewende: Viele Möglichkeiten auf dem Weg zur Dekarbonisierung

Wir haben also festgestellt, dass die Erde ein dringendes Problem (die Klimakatastrophe) hat, dass die Menschheit sowohl dafür als auch für dessen Lösung verantwortlich ist, dass es eine Methode (Wissenschaft) gibt, Probleme zu analysieren und zu lösen und dass der Schlüssel zur Lösung des Gesamtproblems die Lösung des Teil-Problems Energieversorgung in vier Dimensionen ist:

  • Gewinnung
  • Speicherung
  • Transport
  • Nutzung

Nun soll es darum gehen, wie Energie und Kohlenstoff (chemisch C von lat. Carboneum, Holzkohle) bzw. dessen bei Verbrennung mit zwei (di) Sauerstoff-Atomen (O von griech. Oxygenium, Säure-Erzeuger) erzeugte Kohlendioxid (CO2) zusammenhängen, welche Bausteine die Möglichkeiten für den Lösungsweg bestimmen und welche Fallstricke bei der Bewertung lauern.

Die Antwort auf die Frage nach der zukünftigen Energieversorgung wird gemeinhin als „Energiewende“ bezeichnet: Der umfassende Wechsel der Ausrichtung der Energieversorgung zur Nachhaltigkeit.

Der Begriff stammt ursprünglich aus der sächsischen Forstwirtschaft und bezeichnet dort das Prinzip, im Wald nicht mehr Bäume zu fällen, als nachwachsen. Auch hier ging es bereits um ein energetisches Gut, das Holz für Bergbauabsicherung und Verhüttung. Übertragen bedeutet es, Ressourcen im allgemeinen mit einem langen zeitlichen Horizont zu nutzen, so dass der Prozess und dessen Wirkung eben lange anhalten. Es ist also ein Gleichgewichtszustand, der dem Menschen eine langfristige Bewohnbarkeit seines Lebensraumes, des Planeten Erde sichert. Die gegensätzlichen Begriffe sind Ausbeutung, Übernutzung oder auch Raubbau. Der „World Overshoot Day“ bezeichnet den Tag, an dem rechnerisch mehr Erd-Ressourcen verbraucht wurden, als innerhalb des Jahres neu gebildet werden können, wenn also die Ressourcen-Nutzung deren Regenerationsfähigkeit übersteigt. Er wird jedes Jahr aufs neue datiert und rückte seit etwa 1970 mit zunehmender Geschwindigkeit von Ende Dezember zum 29. Juli 2019 vor, insgesamt wurden in diesem Jahr Ressourcen wie von 1,74 Erden verbraucht. Der Rückgang auf den 22. August 2020 (1,56 Erden) ist einzig der COVID-19-Pandemie zuzuschreiben. Die Belastungsgrenzen unseres Planeten sind vielfach überschritten.

Konkret bedeutet dies vor allem die Notwendigkeit zur Dekarbonisierung: Weg von „alter“ gespeicherter Energie in Form von fossilen Brennstoffen, die im Untergrund gebunden Kohlenstoff als zusätzliches CO2 in die Atmosphäre freisetzen; hin zu erneuerbaren Energielieferanten mit einem viel kurzfristigeren Zyklus von Atmosphären-CO2 oder sogar ganz direkter Nutzung der einzigen echten Energiequelle, die unser Planetensystem hat: die Sonne.

Energiequellen und der Kohlenstoffkreislauf

Von ihr stammt ursprünglich auch all die Energie, die in Öl, Kohle und Gas gespeichert ist. Die Sonne betreibt Kernfusion, d.h. sie verschmilzt in der Proton-Proton-Reaktion vier der einfachsten denkbaren Atome – Wasserstoff (H) als Atomkern aus einem positiv geladenen Proton – zu Helium (He), das aus zwei Protonen und zwei Neutronen besteht. Die Umwandlung zweier Protonen zu leichteren Neutronen setzt gemäß der in der bekannten Relativitätstheorie-Formel E = mc² beschrieben Äquivalenz von Masse und Energie sehr viel Energie (Gamma-Strahlung, Positronen und Neutrinos) als Strahlung frei.

Licht und insbesondere Wärme als zwei Formen elektromagnetischer Strahlung tragen Sonnenenergie in das System Erde ein, ermöglichen Leben und betreiben Prozesse des Kohlenstoffzyklus wie die Photosynthese der Pflanzen. Am Ende dieses komplexen Prozesses entstehen aus Kohlendioxid-Molekülen (CO2) der Atmosphäre und Einbezug von Wasser (H2O) unter Energieeinsatz Kohlenstoff (C) und Sauerstoff-Gas-Moleküle (O2). Der Sauerstoff kommt der Atmosphäre zugute, der Kohlenstoff wird (in Form von Kohlenwasserstoffen wie Zucker, Stärke oder Cellulose) zum Wachstum der Pflanzen in ihnen eingelagert. Unter Druck und Luftabschluss wird daraus in Jahrmillionen Kohle. Ganz ähnlich betreiben ebenfalls die Algen der Ozeane Photosynthese, sinken zu Boden und ergeben später Erdöl und Erdgas. In diesen fossilen (lat. ausgrabenen) Brennstoffen ist also „alte“ Sonnenenergie langfristig gespeichert, die beim Verbrennen mit Sauerstoff (Oxidieren: C+O2=CO2) als Wärme frei wird. In einer auf Menschen-erlebbare Zeiträume beschränkte Summenbetrachtung wirkt dies als CO2-Plus. Wird hingegen Sonnenenergie unmittelbar (Photovoltaik, Solarthermie), mittelbar (Wind, Wasserkraft) oder über den Umweg der kurzfristigen Speicherung in Biomasse (Holz, Biogas) verwendet, ist sie als CO2-neutral anzusehen.

Als zusätzliche Energiequellen können die aus der Gravitation (teilweise auch der Sonne) resultierenden Gezeiten, Geothermie sowie Kernkraft in zwei Varianten gelten: Technisch herbeigeführte und kontrollierte irdische Kernfusion ganz wie in der Sonne sowie die bekannte Kernspaltung. Beide setzen aus wenig Materie ungeheure Mengen Energie frei.

Atomkraft

Kernspaltung galt daher bis vor kurzem noch als zukunftsträchtig, rein theoretisch könnte sie die Lösung des Energieproblems darstellen. Jedoch gibt es geopolitische (Uranherkunft und Kernwaffenfähigkeit) sowie praktische (Abfall-Entsorgung und Restrisiko von katastrophalen Unfällen) Hauptprobleme. Hinzu tritt die schwere wirtschaftliche Abgrenzbarkeit: Die Nutzungseffekte sind in zeitlicher (Rückbau, Abfall-Entsorgung), geographischer (Uranförderung, Strahlung, Verbreitung strahlender Partikel) und qualitativer (Vielfalt und Größe) Dimension weitläufig. Dadurch ist es sehr schwer, ein umfassendes wirtschaftliches Modell zu konstruieren (s. z.B. die Nuclear Energy Agency, einer auf Nuklearenergienutzung zielgerichteten Institution innerhalb der OECD, in deren Arbeiten für die Risikobetrachtung anscheinend nur die Eintrittswahrscheinlichkeit, nicht die Asuwirkungen eines Unfalls einbezogen werden), das alle Effekte in finanziell bilanzierbarer Weise abbildet. Daher werden große Teile der eigentlich umzurechnenden Kosten auf die Gesellschaft externalisiert und z.B. der Preis von aus Kernspaltung gewonnenem Strom ist unvollständig kalkuliert.

Gesellschaftlich hat sich so die Überzeugung herausgebildet, aus der Nutzung der Atomkraft zügig auszusteigen und sie eher als Teil des Problems als der Lösung der Energieversorgung der Zukunft zu betrachten. Genauer möchte ich in einem späteren Artikel darauf eingehen.

Fusionsreaktoren hingegen sind Gegenstand jahrzehntelanger Forschung und obwohl bereits ermunternde Ergebnisse erzielt wurden, ist mit wirtschaftlicher industrieller Stromproduktion sicher nicht vor 2050 zu rechnen, zu spät, als dass sie kurzfristig Teil der Lösung des viel dringenderen Energieproblems sein könnten.

Dimensionen, Sektoren, Formen, Umwandlung

Es ist zu betrachten, wofür die Energie aufgebracht wird: Traditionell geht man von den drei Energie-Sektoren Elektrizität, Wärme und Verkehr aus, hinzugezählt werden kann noch Industrie (z.B. Zement, Stahl, Chemikalien), außerdem fallen substantielle Mengen CO2 zusätzlich im nicht-energetischen Sektor Landwirtschaft an. Die Gaswirtschaft wird manchmal wie ein eigener Sektor behandelt, repräsentiert aber hauptsächlich Speicher- und Transport- und weniger Nutzungsaspekte.

Energie gibt es in verschiedene Formen: mechanische/kinetische, potentielle, elektrische, chemische, nukleare, Strahlungs– und Wärmeenergie (thermische); bestimmte Gerätschaften können fast jede Energieform direkt in jede andere umwandeln. Jedoch sind diese Wandlungen unterschiedlich effizient, technisch ausgereift und praktikabel.

Form und Sektor sind allerdings nicht identisch, vielmehr beschäftigen sich die Sektoren gerade mit der Umwandlung der Formen und je nach Sektor kommen in den Dimensionen Gewinnung, Speicherung, Transport und Nutzung unterschiedliche Energieformen und -umwandler zum Einsatz. Gerade diese Umwandlungen bilden die Schnittstellen zwischen den Sektoren. Während Strom, als vielleicht vielseitigste Form, nahezu synonym zum Begriff Energie verwandt, insbesondere in Bezug auf die Gewinnung häufig zuerst in den Blick gerät wenn es um Dekarbonisierung geht, ist doch die Energiewende als ganzes nur zu schaffen, wenn der CO2-Ausstoß aller Sektoren stark sinkt.

Die Ausgangslage ist klar: Die Freisetzung von CO2 in die Atmosphäre durch Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Kohle, Erdgas und Erdöl so schnell wie möglich zu stoppen ist der Haupthebel, um den Klimawandel noch im Zaum halten zu können. Dafür darf nicht nur der Elektrizitätssektor keine Kohle mehr verbrauchen, sondern auch der Wärmesektor kein Erdgas, der Verkehrssektor kein Erdöl und der Industriesektor nichts von alledem.

Der Weg zur Kompensation ist massiver Ausbau der Gewinnung aus erneuerbaren Energien und anschließende Umwandlung mit einer Vielzahl von klassischen und innovativen Methoden. Somit kann die Speicherung in den verschiedensten Formen und Energieträgern und der Transport vor Allem als Strom über Kabel und Gas in Rohrleitungen erfolgen. Genutzt werden kann die Energie dann kontinuierlich zu passenden/gefälligen Zeiten und Zwecken in allen Sektoren.

Kopplung der Sektoren

Der Schlüssel hierzu ist die Sektorkopplung: Von den regenerativen Energiequellen wird z.B. durch Photovoltaik aus der Strahlungsenergie der Sonne elektrische Energie gewonnen, diese wird durch Elektrolyseure in Gasen als chemische Energie gespeichert und transportiert und letztlich als thermische Energie für die Beheizung von Wohnungen oder industrielle Prozesse verwendet. Im Verkehrssektor kann die gleiche chemische oder direkt die elektrische in mechanische Energie für Mobilität umgesetzt werden. Erst all diese Vorgänge aller Sektoren als verbundenes Gesamtsystem zu betrachten und zu optimieren erlaubt insgesamt substantielle Einsparungen beim CO2-Ausstoß. Gleichzeitig muss allerdings der Gesamtenergiebedarf reduziert werden, d.h. die Effizienz der Umwandlungen steigen.

Einige konkrete Beispiele sind Power-To-Gas-Anlagen für Windstrom, Mini-Kraft-Wärme-Kopplungs-Aggregate im Keller, die aus diesem Gas (Wasserstoff (H2), Methan CH4, Ammoniak NH3) Strom und Wärme erzeugen, Brennstoffzellenfahrzeuge, der Einsatz des Gases zum Stahlkochen als Ersatz für Kohle oder Fahrzeugakkumulatoren die als Stromnetzpuffer wirken.

Nicht ein einzelner Sektor, nicht eine einzelne Dimension, nicht ein einzelner Energieträger oder eine einzelne Umwandlungstechnologie stellen die Lösung des Energieproblems dar, sind die eierlegende Wollmillchsau oder das Silver Bullet, sondern die Vielfalt und Kombination verschiedenster Ansätze bei den unterschiedlichen Anwendungen. Da hierbei Elektrizität eine zentrale Rolle als Energieträger in allen und nicht nur einigen Sektoren und Dimensionen spielen muss, ist auch die Rede von einer „All Electric Society„.

Unfug

Daher ist es unsinnig, eine einzelne Dekarbonisierungs-Technologie gegen eine andere auszuspielen: Wasserstoff sei „besser“ als galvanische Batterien, Wärmepumpen besser als Solarthermie, Windkraft besser als Photovoltaik etc. Der Lösungsweg ist vielmehr, jede der Technologien an den richtigen Stellen zu nutzen, was einem weiteren Unkenruf den Boden entzieht: Problem X sei gar nicht das wichtigste/größte/schlimmste/am leichtesten zu behebende, sondern Problem Y viel vordringlicher. Hier passt die Entgegnung „Man muss das eine tun, ohne das andere zu lassen (Matthäus 23,23)“.

Ebenso verfehlt ist die häufig vorgebrachte Kritik, bestimmte Methoden oder Technologien seien ineffizient: Die Umwandlung von Windstrom in Wasserstoff oder im nächsten Schritt Ammoniak (NH3, also der reichlich vorhandene und ungefährliche Stickstoff als Träger des Wasserstoffes) oder Methan (CH4, Kohlenstoff als Träger), die Speicherung, der Transport, die Rückwandlung in Nutzenergie – all das geht natürlich nicht vollkommen verlustfrei vonstatten, doch vier zusätzliche Gesichtspunkte sollten bei der Bewertung nicht außer Acht gelassen werden:

  1. „Klassische“ Technologien sind auch nicht verlustfrei und häufig ist deren gesamte Kette komplexer (Exploration von Öllagerstätten, Bau und Betrieb der Anlagen, Förderung, Transport, Pipelines, Raffinerien, Tankstellen etc.) und nur unvollständig, nur energetisch, nicht Schadstoff-emissorisch oder gar nicht betrachtet. Das Schlagwort hier lautet „Well-to-Wheel„, von der Quelle bis zum Rad.
  2. Die energetische Effizienz, der Wirkungsgrad von Technologien lässt sich durch Wissenschaft, Forschung und Entwicklung über die Zeit langsam nach und nach inkrementell steigern. Dies ist auch in der Vergangenheit, gerade in den letzten Jahren immer geschehen. Der Verbrennungsmotor ist als ausentwickelt zu betrachten, er ist eine technologische Sackgasse. Doch Batterien werden immer besser, und zwar nach all ihren Bewertungsmaßstäben. Wenn daher im ersten Schritt der CO2– bzw. Schadstoffausstoß – die Emissionen – lokal, also am Ort der Energie-Nutzung vermieden und stattdessen an einen anderen, zentralen Ort verlagert werden, können sie dort später leichter komplett eingespart werden.
  3. Keine der „klassischen“ Technologien musste von Anfang an absoluten Ansprüchen genügen, perfekt sein; auf der anderen Seite wurde auch ihnen zunächst mit großer Skepsis begegnet, bis die erste Scheu überwunden war (Warner, die den ersten Automobilen voranschreiten mussten)
  4. Wenn Energie zu bestimmten Zeiten (sonnige, windige Sommertage) im Überfluss gewonnen werden kann, fällt die Umwandlungs-Effizienz wenig ins Gewicht. Ohne Speicherung und Transport ginge die Energie einfach ungenutzt „verloren“.

Weiterhin gehen natürlich Argumente, bestimmte alternative Produkte oder Vorgänge seien schließlich auch nicht absolut unschädlich und klimaneutral („Was ist denn mit dem Lithium für die Elektroauto-Batterien?!“), fehl: Es geht sicherlich nicht darum, die gesamte Evolutions- und Fortschritts-Geschichte zu revidieren und auf die Bäume zurückzukehren, doch ist die Menschheit die einzige Spezies, die Ihren eigenen Lebensraum zerstören kann und das auch tut. Stattdessen ist die Absicht, den menschlichen Fußabdruck so schnell zu verringern, wie zur Abwendung der Unumkehrbarkeit notwendig. Asketische Alles-Abstinez ist weder nötig noch umsetzbar und wenn von zehn negativen Effekten auch nur fünf vermieden werden können, ist das ein erster, wirkungsvoller Schritt in die richtige Richtung, dem weitere folgen können (z.B. andere Batterietechnologien wie Natrium-Eisensilikat) und der von anderen begleitet wird.

Das bedeutet für mich: Die bisherigen Techniken sind nicht schlecht, das Wissen darum kein Fehler, die Beschäftigung damit war keine Zeitverschwendung, die Arbeit daran nicht wertlos. Doch ist es nicht möglich, die notwendigen Ziele zu erreichen, indem krampfhaft, fanatisch, fast religiös an fossilen Energieträgern festgehalten und die damit verbundenen Technologien teilweise ideologisch gegen Kritik oder Veränderung abgeschirmt und weiter subventioniert werden. Fortschritt und Weiterentwicklung ist notwendig, und das bedeutet auch, dass eine Alternativtechnologie möglicherweise nicht direkt von Tag Eins an alle Vorteile mitbringt, die die klassische Technologie hatte. Allerdings sind sicher nicht alle dieser Vorteile unabdingbar: Auch ohne 1000 km Reichweite mit einer Ladung oder Ladezeiten von 5 Minuten ist ein Auto sinnvoll nutzbar.

Andersherum sollte auch nicht außer acht gelassen werden, dass neue Technologien, gerade während Ihrer Erprobung gewisse Nachteile oder Risiken bergen und zusätzliche Effekte außer den gewünschten haben können. Mit zweierlei Maß sollte nicht gemessen werden. Wenn sich mit der neuen Technologie größere Probleme als mit der abzulösenden ergeben, müssen diese angemessen behandelt werden, z.B. durch Weiter- oder Zusatzentwicklungen (s. Blasenschleier beim Offshore-Windkraftanlagen-Bau) oder die Entscheidung, eine Technologie nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen weiterzunutzen. Beispiele hierfür könnten z.B. Kernspaltung, Hydraulic Fracturing (Fracking), aber auch Geothermie-Bohrungen, Wasser-Stauanlagen oder Batterien sein. Um so wichtiger ist es, neuen Ansätzen und Veränderungen gegenüber aufgeschlossen und bereit zu sein, während Ihrer Erprobung wissenschaftlich vorzugehen und flexibel auf Erkenntnisse zu reagieren.

Im Gegensatz zu gerade der Atomkraft-Euphorie und Automobil-/Explosionsmotor-Priorisierung (vgl. „autogerechte Stadt„) der zukunftsgläubigen 50er- und 60er-Jahre ist allerdings ein weitaus ausgeglichenerer, abwägender und kritischer begleiteter Prozess festzustellen: Technikfolgenabschätzung ist inhärenter Bestandteil der Gesetzgebung, Raumordnungs-/Planfeststellungs-Verfahren sind umfangreicher, Umweltverträglichkeitsprüfungen und Bürgerbeteiligung vorgeschrieben (das macht den vielerwähnten Rechtsstaat aus) und wissenschaftliche Fundierung viel tiefgehender, insgesamt ist der Zugang zu Informationen und die Kommunikationsmöglichkeiten bedeutend weitreichender.

An offensichtlich, erwiesenermaßen und akut schädlicher und alter Technologien festzuhalten darf nicht die Alternative dazu sein, althergebrachte Weisheiten infrage zu stellen, neue Wege zu gehen, sich von Rückschlägen wieder zu erholen und eine kontinuierliche evolutionäre Forschungs-, Entwicklungs, Test-, Prototypen-, Erprobungs- und Markteinführungs-Abfolge zu durchlaufen. Doch manchmal ist auch ein kompletter Perspektivwechsel nötig: Alle Verbrennungsmotor-Fortbewegungsmittel mit Batterien zu elektrifizieren ist womöglich weniger die Lösung, als die komplett neue Mobilitäts-Konzepte zu entwickeln, bei denen weniger individuelle Totmasse bewegt wird und herumsteht.

So komplex wie die Erde, die darauf ablaufenden Prozesse und ihr Klima sind, so vielfältig müssen wir dem Schaden, den wir in den letzten Jahrzehnten angerichtet haben, entgegenwirken. Es reicht nicht, alle Verbrennungs-Kraftwerke durch Windkraftanlagen zu ersetzen, gleichzeitig müssen Verkehrswende, Agrarwende und Industriewende angegangen werden.

Skepsis

Unentschieden, aber skeptisch bin ich bei zwei Themen, die ebenfalls häufig mit der Energiewende in Verbindung gebracht werden:

Zum einen wird unter dem Namen CO2-Abscheidung und -Speicherung (Carbon Capture and Storage, CCS) Technologie erforscht, die Prozess-CO2 in zumeist unterirdischen, z.B. alten Erdgaslagerstätten einlagern soll. Dies klingt zunächst verlockend, scheint aber doch mit relativ vielen Unwägbarkeiten (Nutzungsgradverlust, geologische Risiken und Nutzungskonflikte) behaftet zu sein und trifft auf viel politischen Widerstand unter anderem bei Fachverbänden. Wenn überhaupt, scheint die Technik nur für industrielle Anwendungen wie Stahl- oder Zementproduktion, nicht in Kraftwerken, sinnvoll zu sein.

Als erweiterter Anwendungsfall wird die Nutzung als Negativ-Emissions-Technologie diskutiert, also um bereits als CO2 freigesetzten Kohlenstoff wieder aus der Atmosphäre zu entfernen. Dies entweder mit direkter Wäsche der Umgebungsluft oder z.B. angeschlossen an Biomasse-Kraftwerke, die diese von „Null-Emission“ zu „Minus-Emission“ aufwerten. In diesem Fall wird die Luftwäsche und Abscheidung durch Pflanzen übernommen.

Meine Skepsis rührt hauptsächlich von der Befürchtung, die Technologie könnte in Konkurrenz zum Systemwechsel hin zu erneuerbaren Energiequellen treten und nicht, wie diese, gleichzeitig die Probleme bei der Energieträgergewinnung lösen. Es könnte der Eindruck entstehen, man könne einfach „weiter so“ machen wie bisher und einfach einen Prozessschritt hinzufügen, anstatt das System grundlegend umzustellen. Gemäß des obigen Mottos „das eine tun, ohne das andere zu lassen“ halte ich Forschung und Entwicklung in dem Bereich als zurückhaltend geförderte Übergangstechnologie (nicht Teil des Zielbildes) für sinnvoll.

Das zweite Schlagwort ist der Sammelbegriff „Smart Energy“ (im Buzzword-Bingo könnte auch „Energie 2.0“ stehen) umfasst sind zumindest Smart Grid, Smart Metering, Smart Home, Smart City. Kurz gesagt geht es darum, Computer in viele Anteile des Energiesystems und andere Lebensbereiche einzuführen, die bisher ohne auskamen. Die versprochenen Vorteile bestehen aus mehr Komfort und Individualisierung und angepassterer Energieversorgung. Erstaunlich eigentlich, dass gerade bei der Elektrizität bisher vieles mit sehr robuster analoger Technik geregelt wurde.

Zwei Risiken sehe ich hier: Reserven, Redundanzen und Überkapazitäten die im System vorhanden sind und bei außergewöhnlichen Belastungen und Ereignissen als Puffer zur Verfügung stehen, werden tendenziell abgebaut. Und die digitalen Systeme können zu Gefahrenherden werden, sei es weil sie neue globale Angriffsflächen für Computernetzwerkangriffe schaffen; sei es aber vor allem auch, weil sie Menschen und ihr Verhalten digitalisieren, überwachen und manipulierbar machen.

Sinn – Politik

Doch welche Handlungsmöglichkeiten lässt sich aus der obenstehenden Analyse ableiten, welcher Appell? Zunächst einmal gilt es mehrere Handlungsebenen zu unterscheiden: Die individuelle, unternehmerische, national-politische und globale. Die Übergänge zwischen ihnen sind meist etwas unscharf, doch auf allen muss gehandelt werden und alle beeinflussen sich gegenseitig.

Allen gemein ist, dass das identifizierte Ziel klar und direkt angesteuert werden sollte. Positionen, die den Verbrennungsmotor als „Zukunftstechnologie“ betrachten oder nachgerade wie eine aussterbende Tierart als schützenswert erachten, kann ich nicht nachvollziehen.

Von staatlichem Handeln erwarte ich, aus der Zeit gefallene kontraproduktive Förderungen wie Dieselprivileg oder Dienstwagenprivileg zu streichen und auf der anderen Seite wirksame Steuerungsinstrumente wie eine effektive (für Heizenergie nicht auf Bewohnerinnen umlegbare) CO2-Steuer und Rahmenbedingungen zu schaffen, bei denen Technologien in Entwicklung und großtechnischer Anwendung (Bau und Betrieb) proportional zum Klimaschutzpotential gefördert werden.

Umgehungspositionen, nach denen Deutschland nicht wirkmächtig genug wäre, „die Welt im Alleingang zu retten“, „dreckiger“ Strom würde dann aus Nachbarländern importiert, kann ich nur müde belächeln: Deutschland hat in der Tat großen direkten politischen Einfluss auf europäischer und globaler Bühne, und theoretische Argumente wiegen desto schwerer, auf je mehr praktische Umsetzungen verwiesen werden kann. Sobald es einem industrialisierten Land gelingt, große Anteile der Energie aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen, fällt es insbesondere Nachbarstaaten wie Frankreich oder Polen deutlich schwerer, ihre Atom- oder Kohlekraftwerke zu rechtfertigen. Mit gutem Beispiel voranzugehen, Technologien als erstes Land oder am weitesten zu entwickeln kann nicht schlecht zu Gesichte stehen. Wenn die Technologien einmal funktionierend entwickelt wurden und verfügbar sind, können sie zu einer weltweit eingesetzten Lösung skalieren und einen Riesenunterschied bedeuten – irgendjemand muss halt voranschreiten.

Heruntergebrochen auf jeden einzelnen Menschen bedeutet dies, dass man zwar vielleicht noch nicht alleine die Welt rettet, aber doch einen Unterschied bewirkt, denn auch hier gibt es wirtschaftliche und soziale Effekte; das eigene Handeln und Argumentieren färbt auf andere ab. Sei es bei der Wahl der Partei an der Urne, des Stromanbieters, des Verkehrsmittels, des Urlaubsziels, der Konsumgüter, der Wohnumstände oder des Arbeitsplatzes. Denn auch von Unternehmen und Arbeitgeberinnen ist zu erwarten, über das minimal erforderliche, rechtlich geregelte hinaus zu agieren und eigene visionäre Akzente zu setzen, anstatt auf Zwang oder Regulation zu warten.

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